Laudatio

Von Dr. Judith Oexle, Dresden

Als junger Mann träumte Erich Kästner davon, eines der Kavaliershäuschen in Dresdens Großem Garten zu bewohnen. Für den Fall, dass er als Sohn der Stadt Berühmtheit erlangen würde, wünschte er sich es vom Bürgermeister geschenkt. Dann würde er mit seiner Bibliothek dort einziehen, um ein beschauliches Dasein zwischen Caféhaus und Büchern, Blumen und Tieren, allein im menschenleeren Park zu führen........

Wie jedermann weiß – nichts von alledem ist wahr geworden. Es war ein gutes Leben, ein außerordentlich vielfältiges Leben, in dem es allerdings nie beschaulich zuging. Dresden, Leipzig, Berlin, München sind die Lebensstationen, kleine ‚Stücke’ und Epigramme, Kinderbücher und Lyrik sind sein Thema, ebenso liefert er Kabarettnummern und Drehbücher für Kinofilme, er ist Redner und Selbstdarsteller, er liebt die Hochkultur und lebt von der Unterhaltungsliteratur. Das große glamouröse Stück ist nicht sein Thema, Pathos war ihm verdächtig, sein literarisches Paradigma ist viel mehr der ‚kleine Mann in großer Zeit’ und seine Lebenszeit ist zugleich eine Epoche dramatischen Wandels, und nach seiner Lebensmitte war nichts mehr so wie es vorher war.

Unendlich viel wäre zu sagen und zu zeigen über Erich Kästner in ‚seiner’ Villa Augustin, in der Villa seines ‚reichen Onkels’, in der er sehr gerne zu Besuch war. Sie wurde 1997/98 zwar denkmalverträglich aber ein wenig gesichtslos saniert und fand dann erst einmal keine optimale Nutzung. Doch am weiteren Fortgang der Geschichte hätte Erich Kästner seine rechte Freude gehabt – denn; alles wird gut.

Die Geschichte, die dann kam, kennen Sie alle. Ira Mazzoni hat in der deutschen Bauzeitung in ihrer Laudatio auf Ruairí O´Brien ein sehr treffendes Bild für das gefunden, was dann in der Dresdner Villa Augustin passierte. Ein Trojanisches Pferd wurde gebaut und in die Villa hineingeschmuggelt. Es gab zahlreiche Bauherren für das hölzerne Ross – die Ostdeutsche Sparkassenstiftung, die Bürgerstiftung Dresden, die DKV und einen literarischen Beirat, der die Gunst des Ortes erkannte. Im Bauch des Pferdes aber saß O`Brien mit dem Kästner Museum unter dem Arm.

Ein Museum unter den Arm nehmen? Für das Kästner Museum trifft dieses Bild zu – wiewohl man es angesichts voluminöser Museumsplanungen der Gegenwart kaum glauben mag, deren Bedeutsamkeit sich zuvörderst an Fläche, der Zahl der Exponate, ja der Versicherungssumme zu orientieren scheint. Groß und viel von allem bitte – und das für Erich Kästner? Die Dresdner haben für Erich Kästner genau den richtigen ‚Zuschnitt’ gefunden.

Die Jury der Heinz- und Brigitte Schirnig Stiftung, die unter dem Vorsitz des Stifters Heinz Schirnig am 25. Oktober 2002 in Berlin tagte und der Karin von Welck, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder; Sabine Schormann, Geschäftsführerin der Niedersächsischen Sparkassenstiftung; Ruedi Baur, Professor für Graphik und Buchkunst an der Hochschule für Graphik und Buchkunst Leipzig; Uwe Fischer, Professor an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart und ich angehörten, war sich schnell einig, dass dieses Dresdner ‚Miniaturmuseum’ in jedem Fall in die engste Auswahl des erstmals zu vergebenen Ausstellungspreises der Heinz- und Brigitte Schirnig Stiftung zu ziehen sei.


Was hat uns an diesem Museum fasziniert?

Es ist groß und klein. Jeder kann es öffnen und schließen. Man kann es anfassen, bewegen, umklappen, ausklappen und ausfalten. Es regt die Sinne an zu denken, zu forschen – wer nur eine kleine Portion Kästner mag, wird sich mit dem Vitrinenkern des Museums beschäftigen, der einige ausgewählte Originale birgt.

Wem Hut, Überrock und Schreibmaschine genügen, kann unbeschwert nach kurzer Zeit von dannen ziehen. Kaum einer wird es tun, denn diesen Kern umfassen acht mobile Säulen, in denen jeder seinen eigenen Kästner finden kann. Sinnlich und beweglich erschließt sich dem Besucher eine unerwartete Vielfalt an Informationen, Bildern, Querverweisen, Anekdoten – unversehens findet man sich beim Schmökern und Lesen wieder, beim Umblättern und Aufziehen, beim Klicken und Surfen.

Der Mut zur Miniatur, die ganz außergewöhnliche Korrespondenz zwischen Gestaltung und Szenografie und dem Inhalt des Micro-Musuems. Können Sie sich vorstellen, Erich Kästner in einem Museum zu monumentalisieren? Nein, der Meister der literarischen Vielfalt musste hier in Dresden warten bis er jemanden fand, der ihn verstand und Kästner die richtige Erinnerungsform zu geben vermochte. Ruairí O´Brien ist dies aus Sicht der Jury in ganz außergewöhnlicher Qualität gelungen.

Hinzu kommt der außergewöhnliche Standard der handwerklichen Ausführung. Unübersehbar ist die perfekte Detaillierung der Ausstellungsarchitektur. Schauen Sie sich einmal die wunderbare Fassung der Neonröhren an – wer Licht so inszeniert, braucht es nicht zu verstecken. Auch die Auswahl der Hölzer, die Oberflächenbearbeitung, die Ausformung der Eingriffe und Schübe, ja die diskrete und dennoch vielfältige Farbigkeit verraten Lust am Schönen und sind zugleich ganz auf den Besucher und Nutzer ‚hin’ entworfen.

Aber nicht nur die qualitätvolle Ausführung, die witzige Szenografie und die charmante Inszenierung haben Ruairí O´Brien den Preis der Heinz- und Brigitte Schirnig Stiftung eingebracht.

In seinem Anspruch, ganz klein und doch groß zu sein, setzt dieses Museum Maßstäbe. Denn es tritt an in einer Zeit, in der nicht wenige Museumsmenschen denken, dass Ausstellungen nur dann wahrgenommen und besucht werden, wenn Superlative geboten werden – seien es die meisten Exponate, gewaltige Ausstellungsflächen, exorbitante Versicherungssummen oder das Versprechen, nun endlich auch plastinierte Menschen sehen zu können.

Ruairí O´Brien setzt auf die Lust am Entdecken, am Lernen. Mit seinem kleinen Museum bietet er den Besuchern etwas scheinbar sehr altmodisches an: die Chance zu lernen, zu entdecken, sich zu bilden. Und dieses tut er sehr geschickt: er portioniert das Bildungsangebot so, dass sich jeder nach Geschmack und Möglichkeiten bedienen kann. Er akzeptiert das Tempo der modernen Zeiten und zugleich offeriert er den Charme der Langsamkeit. Individualität und hoch ausdifferenzierte Besucherbedürfnisse werden in diesem kleinen, aber ganz großen Museum ernst genommen.

Zugleich – und darauf will ich am Ende der Laudatio noch einmal ausdrücklich verweisen – ist dieses Museum ein ganz vorzügliches Beispiel für bürgerschaftliches Engagement. Eine beeindruckende Zahl von Spendern, Sponsoren, Mitstreitern und Praktikanten haben hier in Dresden ‚ihr’ Kästner-Museum auf den Weg gebracht. Im wahrsten Sinne des Wortes ist hier, tatkräftig unterstützt von der Bürgerstiftung Dresden, aus dem Nichts etwas gewordne.

Lieber Ruairí O´Brien – Ihnen hat die Jury den ersten Preis zuerkannt, einen ganz besonderen ersten Preis, denn Sie sind der erste Preisträger der Heinz und Brigitte Schirnig Stiftung. Möge Sie dieser Preis anregen, noch viele witzige, unterhaltsame und dem Besucher zugewandte Museumsorte zu erfinden.